Montag, Juli 13, 2009

500 Jahre Johannes Calvin

Am 10. Juli hatte Johannes Calvin seinen 500 Geburtstag. Darum möchte ich ihn jetzt selber sprechen lassen und bringe hier einige Ausschnitte aus einer Predigt, die er 1555 in Genf gehalten hat.

Einige Eckdaten zum Leben von Johannes Calvin:

• 10. Juli 1509 in Noyon geboren
• Juristisches Studium
• 1533 Bekehrung zu Jesus Christus
• Wanderjahre
• 1540 Heirat
• 1541 Genf
• 1564 stirbt Calvin

5. Mose 15,11: Es werden allezeit Arme sein im Lande; darum gebiete ich dir und sage, dass du deine Hand auftust deinem Bruder, der bedrängt und arm ist in deinem Lande.

Eine Lehre ist ja gut zur Regelung unseres Lebens, und so wollen wir unsere Aufmerksamkeit auf diese Sache richten. Wir sehen, wie viele Leute in übler Neugierde nach Dingen Ausschau halten, die in hundert Jahren nicht einmal eintreffen. Sie malen sich Unmögliches aus: und wenn dies passiert und wenn das passiert? So halten sie sich ihr Hirn mit unnützen Fragen in Bewegung. Unterdessen bemerken sie nicht, was vor ihren Füßen liegt. So sieht man heute viele gerade darin fehlgreifen, was leicht richtig zu entscheiden sein sollte. Sie verbinden sich die Augen und quälen sich heftig, dies und jenes zu erforschen. Frägt man sie: warum?, so kommt als Beweggrund nichts anderes heraus als eine frivole Neugierde. Halten wir also fest, dass uns unser Herr nur in dem prüfen will, was uns nützlich ist. Darum sehen wir ja in der Heiligen Schrift genau, dass Gott uns nicht mit irgendwelchen Dingen zufriedenstellen wollte, die nichts nützen, sondern er weist uns auf das, was wir tun sollen. Nehmen wir also zur Kenntnis, dass jeder schauen soll, was seine Pflicht und Aufgabe sei. Das also ist die Ermahnung dieser Stelle, dass Gott uns nicht Gesetze vorschreibt von Dingen, die uns nicht betreffen, sondern von solchen, die uns direkt angehen.

Die doppelte Prädestinationslehre (Gott hat alles vorausbestimmt: Menschen werden gerettet oder gehen verloren) von Calvin ist überholt. Aber hier in diesem Predigtabschnitt spüren wir diese Lehre in Bezug auf Arm und Reich ebenfalls.

Kommen wir also zur Sache, die heißt: »Arme wird es immer geben. Das steht da, damit wir wissen: Gott will unsere Liebe prüfen. Er wäre nämlich vermögend genug, um jedem das zu verschaffen, was er nötig hat. Nicht aus Geiz hält er seinen Tresor dicht. Warum sonst lässt Gott zu, dass es hienieden Arme gibt, wenn nicht darum, um uns Gelegenheit zu geben, Gutes zu tun? Schreiben wir es also nicht einem blinden Schicksal zu, wenn wir sehen, dass einer reich ist und ein andrer arm, sondern lasst uns erkennen, dass Gott es so disponiert und dass das nicht ohne Grund ist. Wahr ist's, wir sehen nicht gleich, warum Gott den einen reich macht und den anderen in seiner Armut sitzen lässt. Wir können davon nicht sichere Einsicht haben. Gott will vielmehr, dass wir unsere Augen oft senken und ihm die Ehre geben, die Menschen nach seinem Willen und Rat zu regieren, der über unser Begreifen hinausgeht. Sicher aber ist, dass Gott die Güter dieser Welt ungleich verteilt, um zu prüfen, wie es ums Herz der Menschen steht. Er vollzieht also eine Prüfung. Ist ein Mensch reich, so kann man gut beurteilen, wie er ist. Er hat die Mittel zu schaden, und er könnte seinen Feinden leicht lästig fallen. Wenn er nun davon absieht und gegenüber seinen Nächsten sich der Grausamkeiten enthält und nicht nach mehr gelüstet, als Gott ihm gibt, dann ist das ein Zeichen seiner Klugheit und Rechtschaffenheit, die sich ohne Gelegenheit nicht gezeigt hätte. Wenn nun ein solcher Mensch freigiebig ist und versucht, Gutes zu tun denen, die seine Hilfe nötig haben, wenn er sich nicht in Hochmut und Pomp groß macht, sondern gerade seinen Weg geht, so hat er die Prüfung gut bestanden. - Wenn dagegen ein anderer, ein Armer, in Geduld erträgt, was Gott ihm zu schicken beliebt und nicht zu Raub und Betrug Zuflucht nimmt, sosehr er auch leidet und Hartes ertragen muss, ist das wiederum eine wohlbestandene Prüfung. Halten wir fest: Das Vorhandensein von Arm und Reich ist Gottes Anordnung. So will es seine Vorsehung, und darum muss für uns feststehen: An Armen wird es nie fehlen.

Calvin der Theologe

• Bücher
• Briefe
• Prozesse
• Lieder

Kommen wir nun zur Sache: Nicht ohne Grund befiehlt Gott denen, die Güter haben, eine offene Hand zu haben für die Armen und Hungernden dieser Erde. Damit sagt er uns nämlich, dass wir ihm dienen sollen und genau, wie das zu geschehen habe: Wir sollen ihm die Ehre geben durch die Güter, die er uns reichlich schenkte. Er sendet uns die Armen gewissermaßen an seiner statt, als seine Einzieher. Und obschon unsere milde Gabe sterblicher Kreatur zugutekommt, so sieht es Gott doch so an, wie wenn wir ihm selbst in die Hand gegeben hätten, was wir einem Armen geben. Im Blick auf Gott handelt es sich bei unserem Tun nicht um Gabe, die wir ihm geben, sondern um schuldigen Dank für das Gute, das er uns erwiesen. Aber dennoch nimmt er die Barmherzigkeit, die wir unseren armen Brüdern erzeigen, an, wie wenn sie ihm selber gälte. Darum heißt es auch, dass, wer sein Ohr dem Schrei des Armen verschließt, von Gott auch nicht erhört werden wird, wenn er selber ins Schreien kommt. Auf der andern Seite aber, wenn wir barmherzig sind und die Not der Armen uns zur Hilfe antreibt, so wird Gott auch gegen uns Erbarmung erweisen und uns helfen in der Not. Darum sagt Mose hier, warum Gott befiehlt, eine offene Hand zu haben gegenüber dem Armen, der unter uns wohnt: Gott gibt sie uns, damit wir keine Entschuldigung haben und nicht sagen können: Ich weiß nicht, wo ich Gutes tun könnte. Weil unser Herr uns die Mittel gibt, Gutes zu tun, kann man keine Ausflüchte finden. Wir bleiben immer schuldig, wenn wir die Gelegenheit zur Wohltat nicht ergreifen. Unser Herr Jesus Christus wird dann noch deutlicher, wenn er sagt, dass er nicht immer unter uns sein werde, wohl aber die Armen. Er verlangt weder für sich noch für den Vater, dass man ihm wertvolle Dinge darbiete. Er will aber, dass man den Armen gebe, was man ihm anbieten wollte. Das wollen wir uns doch gut merken, dass unser Herr die Almosen für die Armen als Opfergaben für sich anschaut. Verbrauchen wir uns also nicht darin, ihm Dinge anzubieten, wie wenn er nichts erhielte aus unsern Händen, da er uns doch an die weist, die unsere Hilfe nötig haben.

Calvins Ethik:
• Keine Wucherzinsen
• Arbeit
• Disziplin
• Würde
• Sonntagsheiligung
• Bescheidenheit
• Fleiss

Wäre diese Lektion befolgt worden, so hätte die geplagte Welt nicht so viel Mühe und Geld in die irren Kulte gesteckt, wie man es heute im Papsttum sieht mit vielem Glanz und Firlefanz. Und wie? Fast scheint es, als ob Gott Freude an Malereien, Tapisserien und weitern Dummheiten habe. So hält sich die geplagte Welt geschäftig, und die Armen werden vergessen. Ganz im Gegenteil dazu sagt unser Herr Jesus, dass Gott uns in den Armen prüfen wolle, wie es um unser Herz stehe, und tun unseren Willen, ihn zu ehren. Es wäre ihm ein Leichtes, alle reich zu machen. Aber er sendet uns die Armen, damit wir zu tun hätten und zeigen können, von wem wir unseren Reichtum haben und uns Mühe geben, ihn zu brauchen, wie es Gott recht ist, ist das unser Wunsch, dann fehlt es an Gelegenheit nicht. Das ist in Kürze die Stimme, die wir aus dieser Stelle ziehen sollen.

Calvin der Politiker
• Abgeordneter der Republik Strassburg
• Genf
• Frankreich: Hugenotten

Bleibt übrig, jetzt diese Lehre zu praktizieren: Zum Ersten sollen wir, erkennen, dass Gott uns dringt, Gutes zu tun und uns anzustrengen, wenn Hunger herrscht und Teuerung. Jeder soll eher seinen Bissen teilen als zu dulden, dass andere Mangel leiden, während man im Überfluss lebt. Und wenn viele schmal tun, ein Mietjahr erwarten und mich größeren Brocken schnappen, dann erst recht sollen wir erkennen, dass Gott uns ermahnt und, wo immer wir ihm die Ehre geben mit den Gaben, die er uns anvertraute, er jetzt will, dass wir damit ernst machen. Das wäre das eine. Wo Armut und Bedürftigkeit groß werden, sollen wir erkennen, dass Gott uns damit wach rütteln will, damit wir nicht einschlafen. Er mahnt uns, wo wir faul werden, durch die Exi¬stenz der Armen daran, dass jedem von uns viele Möglichkeiten zur Hilfeleistung gegeben sind. Zum andern sollen wir beachten, dass wir Befehl und Order haben, den Bettel nicht zu dulden. Er ist nichts als ein böses Geschwür. Man hilft dem, dem man gibt, im Grunde nicht. Man verdirbt sie vielmehr, wie gesagt, und zuletzt gefällt ihnen ihre Bettelei sogar, sodass sie ihren Bettelsack mehr lieben als eine sichere Rente. So werden sie aus Spitzbuben zu Dieben. Das alles muss aber ausgeräumt werden, wenn wir nicht wollen, dass der Zorn Gottes mit unserem vollen Wissen herausgefordert und alles immer schlimmer werde. Aber wie immer es gehe, den Armen muss geholfen werden, denn den Bettel zu verbieten und kein Almosen zu geben, das heißt doch: dem Armen den Hals abschneiden. Man muss aber so helfen, dass die, die betteln und dabei offensichtlich unehrlich sind, ihr Handwerk legen müssen, denn sie schaden nur dem Nächsten und essen das Brot derer, die es nötig hätten. Wohlgemerkt! Und wie hat diese Hilfe zu geschehen? Zuerst einmal sollen die Spitäler (Armen- u. Waisenhäuser) diese Aufgabe wahrnehmen. Denn welche Schande wäre es, wenn die Güter, die für Gott und die Armen bestimmt sind, zweckentfremdet würden. Das wäre nicht nur Dieberei, sondern Sakrileg. Wir wären schlechte Haushalter, wenn wir zu andern Zwecken verwendeten, was Gott für die, die er uns vor die Schwelle gelegt, bestimmt hat. Dazu soll jeder, wo er geradesteht, nach seiner Einsicht zu helfen versuchen. Jede schaue, wo etwas schief geht, und jeder sorge nach seinem Vermögen für Abhilfe. So wird der Bettel aufhören und nicht einfach durch ein Verbot aus der Welt verschwinden, wobei die Armen ohne Hilfe bleiben und sterben vor Hunger und Durst.

Calvins Einfluss
• Reformation Schottlands
• Presbyterianische Kirche weltweit
• Reformierte

Nehmen wir endlich den Fall an, dass es nur einen Grund gebe, unserem Nächsten zu helfen, nämlich, dass wir Menschen sind. Wäre das nicht hinreichend? Das Wort Mensch fasst in sich viel Elend. Wenn ich nun einen Leidenden sehe, dann erkenne ich ja, dass auch ich allen diesen Übeln unterworfen wäre, wenn nicht Gott mich davor bewahrte. Es gibt weder Krankheit noch Armut, noch Ähnliches, das nicht auch uns zustoßen könnte. Und was ist der Grund, dass wir davon verschont sind? Die Güte unseres Gottes! Aber die Freiheit von Not und die Bevorzugung will nichts anderes, als dass wir an die denken, die Mangel leiden. Und das ist nochmals ein Zeichen der großen Güte Gottes, dass er mich nicht nur vom Leiden bewahrt, das ich beim Nächsten sehe, sondern mir auch das Zeug und die Fähigkeit gibt, Abhilfe zu schaffen. Das sollte uns doch anspornen zu sehen und zu bedenken: (Dieser leidende Mensch,) der ist mein Fleisch, meine Natur. Es besteht kein Unterschied zwischen dem einen und dem andern, als dass Gott den einen hat bevorteilt und den andern hintangestellt. Denn wir bestehen alle aus demselben Stoff und keiner rühme sich, als hätte er Reichtümer von sich aus. Wenn er nicht so im Elend sitze wie viele, so soll er nicht hochmütig werden, sondern schauen, wie er um so mehr an Gott bleibe. Demgemäß also, wie Gott uns mit seinen Gütern füllt, sollen wir schauen, wie wir ihm Dankbarkeit erzeigen gegenüber unseren Nächsten, die er uns vor die Füße legt, sodass wir nicht außerhalb ihrer Armut stehen und sie nicht getrennt sind von unserem Reichtum. Vielmehr wollen wir dafür sorgen, freundliche Gemeinschaft zu halten mit denen, die mit uns verbunden sind durch ein unzerreißbares Band.
Übersetzt von Hans Scholl, abgedruckt in: Reformierte Kirchenzeitung 124 (1983), 29f

Eine Predigt von Calvin gehalten am 30. Oktober 1555 in Genf.

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