Samstag, Oktober 17, 2009

Minarette verbieten gleich Islam verbieten?

Ich habe schon im März vom vergangenen Jahr einen Blog zum Thema Minarett-Initiative geschrieben. Hier noch eine Ergänzung von Hansjörg Leutwyler von der Evangelischen Allianz:

„…Warum ist die Allianz f ü r einen Minarettbau???????...“
Oder
„…ob ich Sie in der SEA noch als bibelgläubige Christen betrachten darf?
Mit aller Wahrscheinlichkeit nicht. Sie haben Ihr Gesicht offenbart. Die
Gemeinde Laodicea lässt grüssen…!“
oder
„…Offenbar sind Sie in der SEA nur kläglich über den wahren Islam
informiert. Oder entgeht es Ihnen völlig, dass wir heutzutage in einer Zeit
der grössten Christenvervolgung unter dem Islam leben?...“
(Zitate aus Rückmeldungen an die SEA)

Ist ein Minarettverbot auf dem Verfassungsweg sinnvoll?

Liebe Allianzfreunde

Die Haltung der SEA zur Minarettfrage wird in Publikationen und Organen von
Befürwortern der Initiative immer wieder scharf kritisiert. Dies ist bei
politischen Auseinandersetzungen durchaus üblich und legitim, obwohl man
sich fragen darf, ob die Art und Weise, den von uns vertretenen Werten
entspricht.
Die Publikationen gehen dabei nur ganz selten auf Argumente ein, welche den
SEA-Vorstand bewogen, die Initiative als einen falschen Weg zur Lösung
eines komplexen Problems abzulehnen. Dies führt dann dazu, dass wir von
Leserinnen und Lesern solcher Schriften als Minarettbefürworter gesehen und
in Sache Islam der Inkompetenz und Naivität bezichtigt werden. Die oben
eingefügten Zitate sind noch eher moderater Art. Um es vorwegzunehmen: Die
SEA ist nicht für den Minarettbau.
Als eine Person, welche während 15 Jahren mehrheitlich in Muslimischen
Ländern gearbeitet, in Strassengräben vor Granaten und Sturmgewehrsalven
selbst Schutz gesucht, die Diskriminierung von Christen selbst beobachtet
hat, sind mir die Schattenseiten und Gefahren des Islams durchaus bewusst.
Ebenso ist uns der Islam aus der Allianzarbeit der letzten zehn Jahre nicht
ganz unbekannt. Wir haben uns unzählige Male für die Verfolgten eingesetzt
oder zu Fragen die, den Islam betreffen, Stellung bezogen. Dazu einige
Beispiele:

Wir haben dies als SEA getan durch
· persönliche Gespräche: Beim Bundespräsidenten (damals Couchepin),
verschiedenen Botschaften (Indonesien, Algerien, etc)
· Briefe: An Bundesrat, Parlament, Botschaften, Presse, etc.
· Unterschriftensammlungen (Indonesien: rund 36'000 davon beinahe 40
Parlamentarierinnen und Parlamentarier)
· Gebetsinitiativen (30 Tage Gebet für die islamische Welt, den Sonntag
der verfolgten Kirche)
· Arbeitsgemeinschaften (für Religionsfreiheit und für interkulturelle
Zusammenarbeit)
· Stellungnahmen (Haben Christen und Muslime den gleichen Gott, Muslime
in der Schweiz, Religionsfreiheit, etc)
· Pressemitteilungen und Leserbriefe (zu Scharia, Imamausbildung, etc.)
· Verteilzeitungen (4telstunde in türkisch)
· Fachtagungen zum Islam
· persönliche Begegnungen
Trotzdem oder gerade aus diesem Hintergrund heraus sehe ich die
Minarettinitiative als ein Spiel mit dem Feuer. Die Tatsache, dass es die
Initiative gibt, hat aus meiner Sichtweise einen ebenso grossen Einfluss
auf die unten beschriebenen Faktoren, wie das Abstimmungsresultat selbst.
Aus diesem Grunde haben wir versucht, die Initianten einerseits zu einem
Rückzug der Initiative zu bewegen, anderseits baten wir die Leiter der
Muslimverbände, doch aus freien Stücken auf den Bau von Minaretten zu
verzichten. Am Runden Tisch vom 18. November 2008 waren die Meinungen
gemacht. Keine der Parteien war zu Zugeständnissen bereit.
Heute ist es meine Hoffnung und mein Gebet, dass es uns allen gelingt, die
pro/kontra-Argumente als solche zu sehen, ohne auf Polemik zu machen.

Die SEA teilt die Sorgen der Bevölkerung betreffend
· dem Islamismus, dem sich eine Minderheit der Muslime verschrieben hat
und welcher mit Gewaltakten die Menschen terrorisiert.
· einem politischen Islam, der sich in der Schweiz gesellschaftlichen
Einfluss verschaffen will.
· einer Blauäugigkeit der Politik gegenüber islamischen
Machtansprüchen.
Die SEA sieht sich dazu berufen, Menschen das Evangelium zugänglich zu
machen, auch Muslimen
· Muslime haben in keinem islamischen Land eine solch grosse Freiheit
wie hier, sich mit Jesus auseinanderzusetzen.
· Die SEA möchte ihr Handeln nicht in erster Linie an den Risiken
messen, die ein in der Schweiz ansässiger Islam in sich birgt.
· Die SEA möchte ihr Handeln in erster Linie an den Chancen messen,
die sich für das Bekanntmachen des Evangeliums bieten.
Die SEA setzt sich - entgegen gängigen Klischees –nicht für Minarette ein.
· Die SEA ist vielmehr gegen ein in der Verfassung verankertes Verbot
von Minaretten.
· Die SEA sieht das Verbot von Minaretten nicht als einen geeigneten
Weg an, die oben erwähnten Ängste, Probleme und Fragen zu lösen.
· Die SEA sieht die Lösung einerseits in der Gesetzgebung und deren
konsequenten Vollzug.
· Die SEA sieht die Lösungsansätze anderseits in der direkten Begegnung
mit Muslimen und konkreten Integrationsbemühungen.

Schränkt ein Minarettverbot den Einfluss des politischen Islam ein?
Oder regelt ein Minarettverbot den Umgang mit den Forderungen der Muslime?
· Scharia-Gesetz: Der Schutz moderater Muslime vor der parallelen
Anwendung des Scharia-Gesetzes kann nur durch Unnachgiebigkeit und
die Anwendung bestehender Rechte und Gesetze garantiert werden – ein
Minarettverbot hat darauf keinen Einfluss.
· Zwangsheirat: Der Schutz muslimischer (und anderer) Frauen vor
Zwangsverheiratung kann nur durch die Gesetzgebung und den
entsprechenden Vollzug gewährt werden – ein Minarettverbot hat darauf
keinen Einfluss.
· Öffentlich-rechtliche Anerkennung: Die Frage, ob muslimische Verbände
in der Schweiz öffentlich-rechtliche Anerkennung und damit Zugang zu
Steuergelder erhalten sollen, kann mit einem Minarettverbot nicht
gelöst werden. Im Gegenteil: Ein Verbot würde die liberalen Kräfte in
unserem Lande zu Zugeständnissen bewegen, die sie sonst nicht machen
würden.
· Imamausbildung an Schweizer Universitäten: Die Frage, ob die Schweiz
Imame an Schweizer Universitäten ausbilden soll und damit auch deren
Finanzierung übernimmt, kann mit einem Minarettverbot nicht gelöst
werden. Im Gegenteil: Die Minarettdiskussion hat die liberalen Kräfte
in unserem Lande schon zu diesbezüglichen Zugeständnissen motiviert.
Muslimische Leiterpersönlichkeiten sind hauptsächlich an der
Imamausbildung und der öffentlich-rechtlichen Anerkennung
interessiert. Um dahin zu gelangen ist ihnen die Minarettfrage eine
willkommene Hilfe und Mittel zum eigentlichen Zweck.
· Vorschriften und Sonderwünsche: Kleidervorschriften,
Essensvorschriften, Friedhoffragen, Spezialregelungen während des
Ramadan, etc. etc. – ein Minarettverbot gibt keine Antwort auf diese
Fragen.
Fazit: Ein Minarettverbot ist kein Schutz unserer Demokratie vor einem
politischen Islam und dessen Einfluss. Ein Minarettverbot ist im besten
Fall ein Mahnfinger an die Verfechter eines politischen Islam, im
realistischeren Fall wird der Islam durch Kräfte gefördert, welche dem
Islam eine Art „Opfer-Bonus“ geben wollen.

Hilft das Minarettverbot den Gebetsruf „Allah Akbar“ verhindern?
· Moscheen ohne Minarett: Der Aufruf zum Gebet per Lautsprecher ist
nicht an ein Minarett gebunden. Es gibt Moscheen (beispielsweise die
Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem) welche keine Minarette haben, den
Gebetsruf aber trotzdem fünfmal täglich erschallen lassen.
· Schweizer Gesetzgebung: Ein allfälliger Aufruf zum Gebet mit den
Worten „Allah Akbar“ verstösst gegen die passive Religionsfreiheit.
Ein Schutz der Bevölkerung vor Lautsprecherdurchsagen ist mit der
bestehenden Schweizer Gesetzgebung schon heute möglich.
Fazit: Ein Minarettverbot hat in Bezug auf den Gebetsruf keinen
entscheidenden Einfluss.

Hilft das Minarettverbot eine Islamisierung der Schweiz aufzuhalten?
· Präsenz: Minarette markieren islamische Präsenz und einen
Machtanspruch. Wie das obige Beispiel in Jerusalem zeigt, ist es
nicht nur das Minarett, das den Islam sichtbar macht. Es ist die
orientalische Bauweise, welche in der Öffentlichkeit islamische
Präsenz markiert. So kann beim Bau einer Moschee der islamische
Charakter und damit die islamische Präsenz auch ohne ein Minarett
sehr gut sichtbar gemacht werden.
· Grossfamilien: Einwandernde Muslime haben in der Regel eine grössere
Kinderzahl als die durchschnittliche Schweizer Familie, auch wenn
dies nur in den seltensten Fällen Familien mit 6-8 Kindern sind, wie
bisweilen argumentiert wird. In der zweiten und dritten Generation
ist die Grösse ihrer Familien ähnlich der unseren. Der prozentuale
Anteil der Muslime zur Bevölkerung wird zunehmen, wenn auch nicht in
dem Masse wie Befürworter der Initiative dies voraussagen. Nur,
welchen Einfluss wird ein Minarettverbot auf die demographische
Entwicklung haben? Keinen.
Fazit: Ein Minarettverbot hat keinen Einfluss auf die demografische
Entwicklung in unserem Lande und kann die sichtbare Präsenz des Islam
und einen damit verbundenen Machtanspruch nur bedingt beeinflussen.

Hilft ein Minarettverbot in Fragen der Religionsfreiheit?
· Glaubwürdigkeit der Schweiz: Ein Minarettverbot wird von islamischen
Staaten (zu Recht oder Unrecht) als eine Einschränkung der
Religionsfreiheit interpretiert und kompromittiert deshalb die
Glaubwürdigkeit und damit unsere Möglichkeiten der Anwaltschaft für
verfolgte Christen.
· Schutz der Christen vor Verfolgung: Ein Minarettverbot bringt
Christen in islamischen Ländern vermehrt unter Druck und in Gefahr.
Ein solches wird von islamischen Staaten zu Propagandazwecken
missbraucht werden. Dies wiederum mobilisiert den Mob gegen Christen
vorzugehen. Ein Minarettverbot könnte für etliche Christen, die in
islamischen Ländern leben den Tod bedeuten. Lass uns beten, dass es
nicht soweit kommt.
· Wahrung der Religionsfreiheit in der Schweiz: Ob ein Minarettverbot
tatsächlich die Religionsfreiheit für Muslime einschränkt oder sie
einseitig diskriminiert, lasse ich hier offen. Dies wird von anderen
genügend thematisiert. Ein im Religionsartikel der Verfassung
verankertes Verbot ist ein Präzedenzfall für weitere Einschränkungen
des religiösen Lebens. Schon heute werden die Stimmen, welche die
religiöse Neutralität im öffentlichen Leben fordern, immer lauter
(keine religiösen Symbole, keine absoluten Aussagen, keine religiöse
Werbung in der Öffentlichkeit, etc.).
· Wahrung des religiösen Friedens: Sollte der Bau eines Minaretts den
religiösen Frieden gefährden, so gibt der bestehende Religionsartikel
schon heute Spielraum, diesen zu verbieten (Art 72 Absatz 2: Bund und
Kantone können … Massnahmen treffen…) Ein einseitig auf eine Religion
zugeschnittenes Verbot im Religionsartikel ist diskriminierend. Oder
wird als diskriminierend empfunden. Dies erhöht die Gefahr,
Glaubensfragen generell regeln zu wollen.
Fazit: Ein Minarettverbot kompromittiert die Glaubwürdigkeit der
Schweiz. Es setzt Menschenleben aufs Spiel. Es birgt die Gefahr der
Diskriminierung von Gläubigen ganz allgemein. Und es ist nicht nötig,
wenn es um die Wahrung des religiösen Friedens geht – im Gegenteil.

Hilft ein Minarettverbot im Zusammenleben mit Muslimen?
· Misstrauen: Muslime haben ein Image- und Vertrauensproblem. Die
weltweiten Terroranschläge, sowie die Leugnung von
Menschenrechtsverletzungen durch Repräsentanten der Muslime in der
Schweiz, schaffen Misstrauen. Ebenso die immer weitergehenden Wünsche
nach Sonder- und Ausnahmeregelungen. So werden Muslime als Menschen
gesehen, denen man nicht trauen kann. Auch dann, wenn sie keine
politischen Ziele verfolgen und hier nur in aller Ruhe leben möchten.
Depression, Gewalt, Ghettoisierung (Rückzug) sowie Radikalisierung
sind die Folgen.
· Radikalisierung: Neben den oben erwähnten Faktoren, führen
sprachliche und kulturelle Barrieren oft dazu, dass sich Menschen
muslimischer Herkunft als zweitklassig empfinden. Sie haben es
schwerer in der Schule, sie haben es schwerer eine Lehrstelle zu
finden, eine Wohnung zu erhalten, etc.etc. Die SEA sieht darin
zunehmend Gefahr der Radikalisierung. Vergessen wir nicht, auch
moderate Muslime, welche ein Minarettverbot aufgrund ihrer
Erfahrungen sogar gutheissen, bekommen das hier beschriebene
Misstrauen oft ebenso zu spüren.
Fazit: Ein Minarettverbot ist für das Zusammenleben mit Muslimen
mehrheitlich kontraproduktiv.

Hilft ein Minarettverbot den Christen, Muslimen die Frohe Botschaft von
Jesus Christus zu vermitteln?

· Den Glauben weitersagen: Es ist selten, dass Muslimen eine solch
grosse Freiheit haben, den Gott der Bibel kennen zu lernen, wie hier.
Eine wunderbare Gelegenheit. Nutzen wir sie. Auch Muslime sollen frei
über ihren Glauben entscheiden können. Dazu ist es aber notwendig,
dass sie das Evangelium von Jesus Christus hören.
· Polarisierung: Die Minarettinitiative hat bisher insbesondere bei den
jungen Muslimen der 2. und 3. Generation Interesse an ihrer
Herkunftsreligion geweckt. Ebenso bei den weniger sprachgewandten und
im Haushalt tätigen Frauen. Mehr Interesse am Islam heisst auch,
weniger Offenheit, Jesus kennen zu lernen.
· Glaubwürdigkeit: Für Menschen aus islamischen Kulturen sind alle
Leute aus dem Westen Christen – unabhängig ob sie nun gläubig sind
oder nicht. Damit haben gläubige Christen ein Imageproblem. Ein
Minarettverbot zementiert unser Imageproblem.
Fazit: Ein Minarettverbot ist für Muslime eher hindernd, als dass es
Anstösse gibt, über den Glauben an Jesus Christus nachzudenken.

Mit freundlichen Grüssen
Hansjörg Leutwyler
Zentralsekretär SEA