Samstag, September 02, 2006

Gelähmte stehen auf die Beine

Während eines Evangelisationseinsatzes in der Ukraine besuchten wir in kleinen Gruppen Menschen in den nahen Dörfern.
Ich war mit einem Studenten aus dem 1. Jahrgang und einem Übersetzer unterwegs. Dieser führte uns in einem Dorf in eine „Bruchbude“. Dort lag eine Frau (schätzungsweise 50 jährig) in einem Bett. Sie konnte kaum noch atmen. Essen auch nicht. Sie hatte einen riesengrossen Kropf oder Tumor am Hals. Kein Geld für ärztliche Behandlung. Etwas Pflege durch die Angehörigen, etwas Beistand durch die Freikirche. Einziges Medikament: Narkoseäther und irgendein Oel das sie zusammenmischte und inhalierte.
Meine medizinischen Weisheiten sagten mir: Wenn das so weiter geht, lebt sie nicht mehr lange.
Was hatten wir zu bringen: Einige Esswaren aus dem Hilfsgütertransport, uns als Besuch aus dem Westen (das ist für solche Leute eine grosse Ehre) und Jesus. Wir lasen etwas aus der Bibel vor, beteten mehr schwach und hilflos als vollmächtig und stark und gingen niedergeschlagen weg.
Zwei Jahre später war ich wieder in dieser Gegend und ich fragte nach dieser Frau. Sofort sagten die Leute der Kirche, dass wir sie besuchen gehen können. Als ich wieder dieses Zimmer betrat, stand die Frau freudenstrahlend, gesund und lebensfroh vor mir. Sie hatte unterdessen keine andern „Behandlungsmethoden“ gehabt. Sie wurde von Jesus geheilt!

Eine andere Heilung geschah in Jerusalem:

Apostelgeschichte 3,1 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. 2 Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. 3 Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. 4 Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! 5 Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. 6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! 7 Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, 8 er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. 9 Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. 10 Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.

Es ist die Zeit nach Pfingsten: Jesus ist gestorben und auferstanden, den Jüngern noch einmal begegnet und dann aufgefahren in den Himmel. Petrus und Johannes, beides Jünger von Jesu leben nun hier in Jerusalem, gehen regelmässig zum Tempel um zu beten.
Vor der Tempeltür hockt jeden Tag dieser Gelähmte. Man kennt ihn. Er ist seit Geburt lahm.
Und ich will da nicht blauäugig sein: Seine Krankheit wird ausgenützt. Man kann von Krankheit und Kranken auch profitieren. Es ist kaum pure Nächstenliebe, dass die Leute den Lahmen jeden Tag zum Tempeltor tragen, damit er betteln könne. Der Lahme ist voll abhängig von diesen „Trägern“. Und es ist wahrscheinlich, dass diese sein erbetteltes Geld nehmen. Sicher „versorgen“ sie ihn auch mit dem Nötigsten. Aber mehr nicht.
Ausnützung von Schwachen und Kranken gibt es heute nach wie vor. Stichworte: Verdingkinder, Pflegekinder. Da gab und gibt es immer wieder Leute die absahnen. Oder: Ein Teil unserer Gesundheitskosten ist unter dem Kapitel Ausnützung der Notsituation zu verbuchen.
Unser Gesundheitswesen ist ein riesiger Wirtschaftszweig geworden. So gib es schweizweit mehr Arbeitsplätze im Gesundheitswesen als in der Metallindustrie.
Ich habe in Israel mit einem Bettler gesprochen, der einen riesigen Bruch im Unterleib hatte. Auf die Frage, warum er das nicht operieren lasse, antwortete er, dass er nicht wolle (nicht: nicht könne, z.B. aus Geldmangel!). Er hatte keinen Beruf, respektive Betteln war sein einträglicher Beruf.
Und Petrus und Johannes gehen an diesem Kranken nicht vorbei. Beten im Tempel könnte ihnen ja wichtiger sein. Aber vielleicht erinnern sich die beiden an die Geschichte die ihnen Jesus erzählt hatte: Der barmherzige Samariter (Lukas 10,30-37).
Wichtig dann: Petrus und Johannes sahen den Kranken und der Kranke sah sie.
Wie oft schaue ich weg!
Mit Wegschauen kann ich mich recht gut von Forderungen, Ausnutzung, mühsamen Taten fernhalten. Aber Gott will, dass ich hinschaue, den Andern sehe – und das gilt sowohl für mich als den (potenziellen) Helfer wie auch für mich den Kranken, den Hilfsbedürftigen.
Dann das Zentrum unseres Textes: V. 6 „Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!“
Was du erwartest habe ich nicht. Aber was ich habe, das gebe ich dir. Petrus und Johannes haben – Jesus.
Und wenn Petrus da sagt „Im Namen Jesu Christi von Nazareth“, dann bedeutet das, dass diese Heilung ganz in der Anwesenheit von Jesus geschieht. Jesus heilt hier.

Jesus ist auch anwesend, wenn ich in seinem Namen für Heilung bete.

Weiter sehe ich noch in diesem Text: Der Geheilte lobte Gott. Er war dankbar – das ist die einzige und richtige Reaktion.
Diese Heilung war ein Zeugnis für die Menschen für das Volk. Anschliessend an diese Heilung predigte Petrus dann diesen Leuten. Hier sehen ich den Zusammenhang von Predigen und Heilen.
So kommen Menschen zum Glauben an Jesus.
Und das ist auch mein Auftrag heute: Predigen und heilen!

Die Hauptaussage sehe ich darin: „Was ich habe, das gebe ich dir.“
Doch da setzt auch meine Selbstkritik ein: Ich/wir haben Silber und Gold – geschehen darum bei mir/uns recht wenig übernatürliche Heilungen?
Silber und Gold könnten sein: Aerztedichte, Pharmaindustrie, medizinisch ist vieles machbar und bei uns sogar bezahlbar…

Wie gehe ich damit um?
Bei Krankheit den Arzt aufsuchen – das will ich hier nicht weiter ausführen – auf diese Idee komme ich schnell und ich wurde ja genügend darauf trainiert.
Bei Krankheit: Gott suchen – ich darf ihn vorerst auch nach dem Warum und dem Wozu fragen (oft gibt er da aber nicht sofort bis gar nie Antwort).
Es gibt selbstverschuldete Krankheiten – da wäre zuerst etwas bei mir zu ändern.
Also Gott fragen – sozusagen eine „Fremdbeurteilung“ durch Gott durchführen lassen. (Sünde? Schuld?)
Erfahrungsgemäss ist das aber weniger die Ursache von Krankheiten. Wobei, rein theoretisch, Krankheit sehr oft aufgrund von Sünde entstanden ist. Anders gesagt: Krankheit hat ihren Platz nur im Umfeld von Sünde – im Paradies, im Himmel gibt es keine Sünde mehr und auch keine Krankheit. Manche von uns müssen Krankheiten erleiden, weil sie in einem sündigen Umfeld leben – sie können gar nichts dafür, müssen aber unter den Sünden von andern leiden.
Beispiel: Asthmakinder – Asthma nimmt extrem zu. Warum? Es gibt mehrere Faktoren – aber der der Luftverschmutzung ist sicher da. Wir verschmutzen unverantwortlich die Luft – das ist Sünde.
Ich meine, dass man sehr sorgfältig hinschauen soll und nicht über andere urteilen soll. Aber ich bin gefragt, mich selber zu beurteilen – mit Gottes Hilfe. Nur Gott sieht die Wahrheit ganz.

Aber dann gibt es oft auch Krankheiten, da sieht niemand den Grund, noch den Sinn, noch eine Lösung, noch eine Heilung. Und dann…?

Jesus heilte sehr viele Menschen. Aber es gab um Jesus auch viele kranke Menschen, die er nicht heilte. Es ist eine verhängnisvolle Vereinfachung biblischer Aussagen, wenn du sagst, dass Gott keine Krankheit will und wenn ich nur recht mit ihm zusammen bin auch keine habe. Wenn ich an ihn glaube - dann halt eben richtig glaube (oft heisst das dann in deinem Sinn, nach deiner Form glaube), meine Krankheit geheilt wird und ich nicht krank werde.

Ein wesentlicher Aspekt meines Christseins und damit auch unseres Gemeindeseins ist, Krankheiten zu tragen, zu erleiden. Das heisst auch, sie zuzulassen – sie zu sehen. Kranke sollen bei mir nicht Aussenseiter sein. Sie sollen keine Ausgestossenen sein – etwa so wie im Mittelalter, als die „Siechen“ ausserhalb der Stadt leben mussten.

Darum waren es die Christen, die der Krankenpflege ihren Stellenwert gaben.

Gleichzeitig habe ich als Christ die Aufgabe für die Kranken zu beten. Um Heilung zu beten. So wie Petrus und Johannes dem Lahmen begegnet sind, soll auch ich den Kranken begegnen:
· Ihnen geben, was ich habe – sie pflegen
· Und sie bei der rechten Hand nehmen, sie aufrichten und auf Gott vertrauen, dass er heilt.

Ich spüre die Spannung, die aus diesen beiden Aufträgen: pflegen und heilen – entsteht.
Wann ist was dran?

Da will ich ehrlich eingestehen – ich weiss das nicht, ich haben keine Regeln dazu. Ich lasse mich führen durch den dreieinigen Gott!

Praktisch heisst das, dass ich immer wieder in der Situation bin, dass ich um Heilung bete, die dann nicht eintritt. Oder dass ich Wunden pflege, über denen ich ein Gebet um Heilung hätte sprechen sollen.

Praktisch heisst das für mich, dass ich beides tue.
Und dann Gott sage: ok. Es ist gut so. Dein Wille geschehe. Das gibt mir dann auch wieder eine gewisse Gelassenheit – ich kann es Gott überlassen.

Die andere Reaktion wäre: Suchen und mich hinterfragen, ob ich doch zuwenig gebetet und geglaubt habe (das habe ich immer! – auch wenn eine Heilung eintrat). Aber das entspricht nicht meinem gnädigen Gott, der ohne meine Leistung mich immer wieder überrascht und beschenkt.

Liebe ist: Wenn die Pflegenden mutig mehr um Heilung bitten und die Heilenden mutig mehr pflegen.

Noch ein anderer Gedanke zu diesem Text: Wir sind alle Gelähmte – im übertragenen Sinn. In jedem unserer Leben gibt es Lähmungen. Da und da bin ich nicht frei, bin ich wie gelähmt: Durch Vorstellungen wie es ist, wie es sein könnte, wie der und der ist. Gefangen in Erwartungen, Erfahrungen, Vorurteilen, gefärbten Brillen.
Oft merke ich das gar nicht. Oft bin ich sogar noch gerne in dieser Situation – ich profitiere davon ja auch.
Aber Gott möchte mich befreien. Möchte diese Lähmungen in meinem Leben, durch die ich nicht gehen, stehen, tanzen und Gott loben kann, wegnehmen.
Jesus selber sagt mir: „Sieh mich an! Was ich habe, das gebe ich dir! Ich habe ein neues Leben für dich! Ergreif meine rechte Hand, die ich dir schon lange hinstrecke. Steh auf aus deinem alten Leben. Geh mit mir zusammen.“
Wenn ich diese Hand ergreife, heisst das hier im Leben gehen und stehen können (das kann durchaus auch mit körperlichen oder psychischen Behinderungen einhergehen). Gott loben. In den Tempel (das ist heute die christliche Gemeinde am Ort) gehen. Frei werden, damit ich ein Leben mit Gott zusammen leben kann.

Jesus fragte die Kranken oft, bevor er sie heilte: „Willst du das?“

Es ist nicht schwierig. Es braucht keine grossen Glaubenstechniken, spirituelle Übungen oder spezielles Wissen.
Es braucht diesen kindlichen Glauben – dieses Vertrauen auf den dreieinigen Gott: Du bist da, du liebst mich, du führst mich gut, dein Wille ist gut und darum wird es auch gut.